Köln-Ehrenfeld: Vom gleichnamigen S-Bahnhof von Kölns Szeneviertel kommend führt der Weg vorbei an Graffiti-übersäten Mauern in ein Industriegebiet. Zwischen Parkplätzen von Bauhaus, Autohaus und Aldi Süd entstand hier vor wenigen Jahren ein neues Quartier für Wohnen und Gewerbe. Die modernen anthrazitfarbenen Fassaden sind mit grünen Akzenten durchsetzt – ebenso passend für den Standort eines Landschaftsarchitekturbüros wie seine Adresse: Grüner Weg 10.

Vor zwei Jahren sind GREENBOX Landschaftsarchitekten hier eingezogen – und schon jetzt sind die rund 400 Quadratmeter eigentlich fast schon wieder zu klein, meint Bürogründer Hubertus Schäfer, der mich an der Tür empfängt. Das Büro beschäftigt 35 Mitarbeiter an drei Standorten in Deutschland, davon 25 in Köln. Die vierte Niederlassung in Norddeutschland ist gerade in Planung. Offenbar hat Schäfer selbst in Zeiten des Fachkräftemangels kein Problem, Fachkräfte zu finden. „Wenn Mitarbeiter sich wohlfühlen, spricht sich das herum“, freut er sich.

Der 47-Jährige hat Greenbox 2002 gegründet. Bis heute ist er der kreative Kopf des Büros. Sein Herzensprojekt: der professionelle Ausbau von „GREENBOX VR“, den er mit viel Leidenschaft betreibt. Und der für sein Unternehmen fast schon zu einem Alleinstellungsmerkmal geworden ist.

Die digitale Leidenschaft ist dem Büronamen bereits eingeschrieben: Mittels der „greenboxing“-Technik lassen sich bei Film- oder Fotoaufnahmen einzelne Motive freistellen und mit digitalem Kontext kombinieren. Schäfers Team möchte digitale Landschaften gestalten und sie unter dem gleichen Dach baulich in die Realität umsetzen. Dass sich Landschaftsarchitekturbüros so vehement mit digitalen Technologien auseinandersetzen, ist ungewöhnlich. „Architekten sind häufig einige Jahre später dran als andere Branchen“, meint Schäfer. „Und Landschaftsarchitekten sind oft noch deutlich später dran als Architekten. Wir wollen das anders machen und vorangehen.“

Unterstützt wird Schäfer beim digitalen Ausbau des Unternehmens von Felix Brennecke, der 2016 – damals noch freier Mitarbeiter bei Greenbox – in intensivem Austausch mit Schäfer seine Masterarbeit geschrieben hatte: Virtual Reality in der Landschaftsarchitektur. Die Koordination und Realisierung für aktuell rund vierzig parallel laufende Bauprojekte betreut Markus Pieper: Der 35-jährige Landschaftsarchitekt ist bereits seit 2013 im Kölner Büro tätig und seit 2017 zweiter Partner.

Hubertus Schäfer (Bürogründer/Inhaber), Felix Brennecke (Wettbewerbe/Entwurf), Markus Pieper (Inhaber) (v.l.n.r.)

Hubertus Schäfer (Bürogründer/Inhaber), Felix Brennecke (Wettbewerbe/Entwurf), Markus Pieper (Inhaber) (v.l.n.r.)

Rund zehn Landschaftsarchitekten arbeiten aktuell in der Entwurfsabteilung. Auf den Tischen finden sich digitale Zeichen-Tablets in beweglichen Halterungen; viel wird hier von vornherein in 3D geplant. Ein 3D-Drucker produziert topografische Modelle, Prototypen für Stadtmöblierung im Miniformat oder auch Halterungen für die Joysticks, die ich gleich ausprobieren werde.

Digitale Argumente im Wettbewerb

Greenbox nutzt digitale Tools und Anwendungen inklusive Virtual und Augmented Reality für Arbeitsbesprechungen ebenso wie für Präsentationen. Das ständige Feilen an Entwurfstechniken und Darstellungsformen gehört zum Tagesgeschäft. „Wir leben von Wettbewerben“, erklärt Schäfer. „Wir müssen uns immer wieder in konkurrierenden Verfahren mit den Kollegen der Branche messen und Auftraggeber, Preisrichter oder auch zunehmend die Öffentlichkeit mit starken und nachhaltigen Entwürfen überzeugen.“

Der Entwurf von Greenbox für den Brückenpark der Neuen Bahnstadt Opladen hat 2016 den ersten Preis im freiraumplanerischen Wettbewerb gewonnen. Ein bestehendes Brückensegment von sechs Metern Höhe sollte barrierefrei auf dem großen Quartiersplatz weitergeführt werden. „Statt eine konventionelle Rampe zu bauen, wollten wir an diesem zentralen Ort einen kommunikativen, urbanen Freiraum aufspannen“, meint Schäfer. So entstand die Idee einer „living bridge“: Die Rampe umschließt eine zentrale „Grüne Arena“ und wird dabei zum Erlebnisparcours. „So ein architektonisches Element ist für einen städtischen Platz ein eher ungewöhnlicher Vorschlag“, meint Pieper. „Da mussten wir wirklich Überzeugungsarbeit leisten und mittels immersiver 3D-Technik die räumlichen Qualitäten vermitteln.“

Das geschah zunächst mittels eines zweiminütigen Videos, das dem Auftraggeber präsentiert wurde. Die Kamera fährt über den Rasen, folgt dem Verlauf der Rampe, erfasst bewegte Blüten und Menschen. Gesichter und Gebäude sind nicht fotorealistisch, dafür vernimmt man Vogelzwitschern und Kinderlachen. „Der Ton ist total wichtig zur Vermittlung der Atmosphäre“, meint Brennecke. Etwa eine Woche dauerte die Erstellung des animierten Kurzfilms.

Siegerentwurf von GREENBOX für den Brückenpark der Neuen Bahnstadt Opladen: Die Stahlfachwerkskonstruktion soll an die Werkshallen-Architektur erinnern, die Begrünung durch Kletterpflanzen einen freundlichen, lebendigen Raum schaffen.

Siegerentwurf von GREENBOX für den Brückenpark der Neuen Bahnstadt Opladen: Die Stahlfachwerkskonstruktion soll an die Werkshallen-Architektur erinnern, die Begrünung durch Kletterpflanzen einen freundlichen, lebendigen Raum schaffen.

Vollimmersive Projektbegehung

Anhand des Projekts demonstrieren Schäfer, Brennecke und Pieper nun weitere Visualisierungsarten in VR. Auf der Fensterbank des „showrooms“ liegen bereits drei verschiedene VR-Brillen bereit, die ich nacheinander testen darf.

Zuerst Google Cardboard: eine laut Pieper preiswerte, einfache Lösung, die ohne Kabel und WLAN auskommt – die Bildwiedergabe erfolgt mittels Smartphone. Schäfer öffnet auf seinem Handy eine App zur Unterstützung der stereoskopischen Ansicht – zwei nebeneinanderstehende Bilder geben jeweils die Perspektive des linken und des rechten Auges wieder – und steckt es in die Halterung aus Karton: Blickt man durch die beiden Sammellinsen auf das Smartphone-Display, verschmelzen die beiden Einzelbilder zu einem 3D-Bild.

Plötzlich stehe ich mitten auf dem Rasen. Intuitiv mache ich einen Schritt nach vorne, aber das Bild verändert sich nicht: Ich kann mich drehen, mich aber nicht in der Raumtiefe bewegen. „Mit einer konventionellen, zweidimensionalen Perspektive trifft man ja immer nur eine gerichtete und letztlich beschränkte Auswahl“, erklärt Brennecke. „Bei einem 360-Grad-Panorama (zum Rundum-Panorama des Brückenparks) hat man dagegen den kompletten Rundumblick. Kombiniert mit der 3D-Tiefenwahrnehmung versteht und erlebt man so viel besser den räumlichen Kontext des Entwurfs.“

Google Cardboard, Oculus-Brille, HTC-Brille mit OLED-Display, Joysticks für die Navigation im virtuellen Raum (v.l.n.r.)

Google Cardboard, Oculus-Brille, HTC-Brille mit OLED-Display, Joysticks für die Navigation im virtuellen Raum (v.l.n.r.)

Als Nächstes teste ich ein hochwertiges Modell der Oculus-Brille, bei der die Technik direkt im Gerät integriert ist. Auch sie ermöglicht den kabellosen Betrieb; das gewünschte Bild- oder Videomaterial kann etwa über Dropbox auf die Brille geladen werden.

Wieder stehe ich im Park, diesmal auf der obersten Stufe einer Rasentribüne. Während ich mich um mich selbst drehe, sehe ich schemenhaft Gebäude, deutliche Kirschblüten, sich bewegende Menschen – ein Rundum-Blick in Bewegtbild, allerdings nach wie vor von einem festgelegten Standpunkt aus. Beim Blick nach unten habe ich das deutliche Gefühl, dass ein Schritt in die falsche Richtung mit einem Sturz die Stufen hinunter endet – obwohl mein Kopf natürlich weiß, dass ich auf dem sicheren, ebenen Boden des Konferenzraums stehe. Empfindlichen Mägen könnte da schon flau werden.

Auf bewegte Bilder im VR-Raum – unter Ausblendung der realen Umgebung wird die virtuelle Umgebung in 3D im Maßstab 1:1 erlebt – reagieren Nutzer sehr verschieden. „Den Schritt über einen Abgrund schaffen die meisten nur nach einer gewissen Vorbereitung und Übung“, so der 30-jährige Brennecke. „Das ist die Magie der Immersion“, ergänzt Schäfer. „Das Gehirn hat keine Wahl. Es wird unmittelbar über die Augen und Ohren stimuliert und reagiert entsprechend.“

Interdimensionales Multitasking

Nun ist das „Profi“-Modell an der Reihe: die HTC-Brille mit OLED-Display, die immerhin knapp ein halbes Kilo auf die Waage bringt. Ein WLAN-Modul ermöglicht auch hier den kabellosen Betrieb. Sensoren auf Stativen in zwei gegenüberliegenden Ecken des fast quadratischen Raums spannen das Koordinatensystem für den virtuellen Raum auf.

Schäfer und Brennecke verfolgen auf einem Bildschirm, was ich mittels Brille sehe: Um mich herum dehnt sich ein idyllischer Mischwald, die Szenerie wirkt täuschend echt. Ich möchte mich an den Rand der Klippe, auf der ich stehe, vortasten, um die Aussicht zu genießen. Doch als ich die beiden Joysticks, die mir in die Hand gedrückt werden, in Betrieb nehmen will, wird es schlagartig dunkel um mich her. Plötzlich wachse ich selbst aus dem Waldboden heraus, mein Blick auf einer Höhe mit Steinen und Blättern, die den Boden bedecken.

Brennecke versucht, mittels Maus und Tastatur meine Szenerie zu „retten“. Plötzlich schwebt mein digitales Ich im Inneren eines Globus-artigen Raumes, dessen Hülle einer Fototapete mit Waldmotiv gleicht; die Baumspitzen treffen über meinem Kopf zusammen. Zu meiner Rechten schwebt die Szenerie des Waldbodens nun als Insel mit felsigem Untergrund. Ich muss an das Cover von Italo Calvinos „Unsichtbare Städte“ denken.

Doch das Bild wirkt unscharf. Probehalber schließe ich das rechte Auge – und sehe Waldhintergrund –, dann das linke – nun sehe ich Felsen. Korrekt übereinandergelegt würden die beiden Bilder ein täuschend echtes 3D-Bild ergeben. „Die Kugelansicht des Waldes ist der statische Hintergrund“, höre ich Schäfer von links, während die Felsenwaldinsel plötzlich durch mich hindurch zu sausen scheint. „Interaktiv ist nur die Insel in der Mitte.“ Da ein Fußfassen darauf derzeit unmöglich scheint, startet Brennecke jetzt ein weiteres Programm.

Interaktive "Insel" vor statischem Hintergrund. Mittels Lichstrahl des Joysticks können sich die User an den gewünschten Ort versetzen.

Interaktive "Insel" vor statischem Hintergrund. Mittels Lichstrahl des Joysticks können sich die User an den gewünschten Ort versetzen.

Unvermittelt finde ich mich neben dem Barcelona-Pavillon wieder. Nur ein Umstand zeigt, dass die Szenerie künstlich ist: Das Gebäude ist menschenleer! Also nichts wie rein. Mit dem Joystick bewege ich mich fließend im Schritttempo, die Navigation funktioniert weitgehend intuitiv. Ich kann aber auch in jede Richtung ein paar Schritte weit gehen: Meine Bewegungen werden auf die virtuelle Umgebung übertragen, die Grenzen des realen Raumes werden als bläuliches Raster (grid) eingeblendet. Aber auch „Beamen“ ist kein Problem: Ich richte einfach den „Laserstrahl“ meines Joysticks auf einen beliebigen Punkt auf dem Fußboden, und schon bin ich vom Eingang direkt neben das Wasserbecken „gesprungen“. Ein Klick auf Markierungen an ausgewählten Punkten – etwa bei Kolbes Skulptur oder beim Barcelona-Sessel – öffnet Fenster mit Hintergrundinformationen.

Da ich den Pavillon für mich alleine habe, kann ich in Ruhe alles untersuchen: den Marmor der Wände, das Wasser im Becken. Alles wirkt auch von Nahem erstaunlich echt. Nur an den Rändern des Blickfelds ist das Bild etwas unscharf.

Das liegt einerseits an der Art der Linse, andererseits an der Software: „Derzeit ist meist der ‚Sweet Spot‘ in der Bildmitte scharf gestellt“, erklärt Brennecke. Würde der gesamte Bildbereich detailliert gerendert, bräuchte es eine vielfache Rechenleistung. „Hier wird sich in absehbarer Zeit Echtzeit-Raytracing (Anm. d. Red.: Es werden immer nur die Bildbereiche scharf gestellt, auf die der Nutzer gerade fokussiert) durchsetzen, wodurch die Darstellung noch realistischer sein wird.“

Bei meinen Erkundungen nähere ich mich den Wänden des realen Raums: „Das Raster zeigt an, bis wohin Sie gehen können“, höre ich Schäfers Stimme. Ich mache kehrt und stoße gegen den Tisch. „Ja, der Tisch wird leider nicht digital erfasst. Wir haben uns anfangs auch ständig irgendwo gestoßen“, lacht Brennecke.

Da sie zu zweit sind, kann ich ihre Stimmen als zusätzliche Navigationshilfe nutzen. Gleichzeitig sind Geräusche von außerhalb der virtuellen Welt extrem irritierend. Man braucht deutlich länger, um akustische Informationen zu verarbeiten, die sich in der aktuell erlebten Szenerie überhaupt nicht verorten lassen. Interdimensionales Multitasking ist definitiv was für Fortgeschrittene.

Virtuelle Begehung des Barcelona Pavillons

Virtuelle Begehung des Barcelona Pavillons

In einem Telefonat im Nachgang meines Besuchs bei GREENBOX berichtet Schäfer übrigens, dass Oculus Anfang Juni eine Brille auf den Markt gebracht hat, die ohne Sensoren auf Stativen auskommt. Die „Oculus Quest“ arbeitet mit Kameras, die den Raum permanent digital vermessen und ein Anstoßen an Möbelstücken ausschließen sollen. „Man zieht wie mit einem Zauberstab einen komplett störungsfreien Raum um sich herum auf“, beschreibt Schäfer die Technik, die von Facebook mitentwickelt wurde: „Da sieht man deutlich, welch ein Interesse auch die sozialen Medien an dem Thema haben.“

Doch ohne Frage ist die virtuelle Real-Time-Begehung auch mittels Stativ-Sensoren beeindruckend. Noch toller wäre es aber, wenn ich im vollimmersiven VR-Raum selbst zeichnen könnte ...

„Das geht“, sagt Brennecke. Er startet das Programm Tilt Brush von Google. Mit den Joysticks lassen sich verschiedene Menüs aufrufen, um Form, Stärke oder Farbe des Malwerkzeugs zu definieren, genau wie in Bildbearbeitungsprogrammen. Der Barcelona-Pavillon ist nun allerdings verschwunden, ich stehe in einem leeren, blaugrauen Raum ohne einen einzigen Anhaltspunkt. Testhalber male ich erst mal einen Regenbogen.

„Jetzt zeichnen Sie mal einen Würfel und stellen sich rein“, höre ich Schäfers Stimme. Mit ausholenden Armbewegungen male ich zunächst ein großes Quadrat: Meine Hand denkt automatisch in „realen“ Dimensionen und will ein Objekt zeichnen, in dem mein Körper Platz finden würde. Dabei ist mein Körper im virtuellen Raum überhaupt nicht vorhanden: Das „Ich“ gibt es hier nur als abstrakte Wahrnehmungs- und Handlungsinstanz.

Nun bewege ich mich weiter und zeichne die übrigen Flächen. Als ich aber mein körperloses, digitales Ich durch einen Schritt in den Würfel hineinbewege und mein gezeichnetes Werk inspiziere, sehe ich, dass ich die Anschlüsse an den Ecken nicht richtig getroffen habe: Das Ende des Strichs schwebt im luftleeren Raum! Glücklicherweise fällt das Ausradieren umso leichter.

Alleinstellungsmerkmal Digitalisierung

Ist das nun Spielerei oder setzen GREENBOX diese Werkzeuge und Programme auch bei eigenen Projekten ein? „3D und VR wird jeden Tag mehr ein wichtiger Bestandteil unserer täglichen Arbeit und unserer landschaftsarchitektonischen Projekte“, meint Schäfer. Für die Planung der Fußgängerzone in Wuppertal entwickeln sie derzeit beispielsweise eine Augmented-Reality-App, die Anwohnern den Entwurf des Büros für den „Kulturteppich“ schon vor der Realisierung vermitteln soll und auch später integraler Bestandteil des Freiraums im Sinne einer „digitalen Innenstadt“ sein wird. (siehe auch den Artikel Entwerfen in 3D: Es geht noch wirklicher auf competitionline)

Gemeinsam mit Cologne Intelligence entwickeln Greenbox derzeit eine Augmented Reality Anwendung für die Fußgängerzone "Werth" in Wuppertal-Barmen.

Gemeinsam mit Cologne Intelligence entwickeln Greenbox derzeit eine Augmented Reality Anwendung für die Fußgängerzone "Werth" in Wuppertal-Barmen.

„Wir wollen GREENBOX VR als Sparte innerhalb unseres Planungsbüros weiterentwickeln und als Marke etablieren“, sagt Schäfer. „Unsere Arbeitsabläufe haben wir durch viel Experimentieren und Lernen stetig verbessert. Dieses Alleinstellungsmerkmal wollen wir weiter ausbauen.“ Die jährlichen Investitionen dafür belaufen sich nach Schäfers Schätzungen derzeit auf einen höheren fünfstelligen Betrag für Technik, Software und Infrastruktur – hinzu kommen noch die Kosten für spezialisiertes Personal, Fortbildungen, Administration und PR.

Ziel der digitalen Strategie von Greenbox ist die professionelle Kommunikation auf allen Ebenen. „Auftraggeber, genauso wie die Bürger, wollen verstehen“, sagt Schäfer mit Nachdruck. „Wir müssen deshalb weg von den Lageplänen. Wir wollen Bauherren, andere Fachplaner oder eben die Bürger an der Hand nehmen und mit ihnen gemeinsam den Entwurf betreten.“ VR-Konferenzen böten hinsichtlich der gemeinsamen Abstimmung in Echtzeit ein gewaltiges Potenzial für die Planungsbranche – ebenso wie mit Kameras versehene Brillen wie die von Oculus Quest.

Die Erfahrung des digitalen Ichs, das durch den realen Körper agiert, der in der VR-Welt allerdings unsichtbar bleibt, führt mich zu einer Frage: Wäre es nicht möglich, die Begehung virtueller Welten in einer Greenbox durchzuführen, sodass an einer Brille applizierte Kameras gleichzeitig die Umgebung vermessen und auch das Bild meines realen Körpers in die virtuelle Umgebung projizieren könnten? So würde etwa mein Arm in meinem Blickfeld sichtbar, während er die Wand des digitalen Barcelona-Pavillons befühlt ... „Da ist noch vieles denkbar und möglich“, meint Schäfer. „VR und AR könnten sich auch vermischen, indem sich die VR-Brille auf Klarsicht schalten lässt.“

Hinsichtlich der realistischen Bildgestaltung wird von Computerspiel-Afficionados allerdings häufig Verwunderung darüber geäußert, dass die Programme zur Architekturvisualisierung den Möglichkeiten der Spieleindustrie deutlich hinterherhinken. „Auch deshalb wollen wir natürlich unbedingt Impulse aus der Spieleentwicklung aufgreifen“, meint Schäfer. Doch insgesamt gehe es nicht primär darum, möglichst fotorealistisch zu arbeiten, meint Schäfer. „Für uns ist es spannend, je nach Planungsfortschritt einen eigenen Stil zu entwickeln, indem wir beispielsweise auch Handskizzen in virtuelle 3D-Umgebungen übertragen, um notwendige Interpretationsspielräume und Freiheiten zu belassen.“

Handgezeichnete 3D-Skizze für eine von Greenbox geplante Campuswiese

Handgezeichnete 3D-Skizze für eine von Greenbox geplante Campuswiese

Freiraumprojekte für große Unternehmen und Konzerne, mit denen Greenbox vielfach beauftragt werden, bieten dem Büro eine vielfältige Spielwiese – aktuell realisiert das Büro etwa die Headquarters für Unternehmen wie STIHL, LIDL, Continentale oder die DFB-Akademie in Frankfurt. „Angesteckt von Apple, Google und Co., wollen viele Unternehmen ihren eigenen Campus haben“, erklärt Schäfer. Dabei gehe es vor allem um Corporate Identity und Mitarbeitergewinnung: „Die Unternehmen fragen sich: Wie ziehe ich qualifizierte Fachkräfte an, die jetzt vielleicht noch in den USA sitzen?“

Der LIDL Campus (hier als Visualisierung) entsteht derzeit aus einer Zusammenarbeit zwischen GREENBOX und kadawittfeld in Bad Wimpfen.

Der LIDL Campus (hier als Visualisierung) entsteht derzeit aus einer Zusammenarbeit zwischen GREENBOX und kadawittfeld in Bad Wimpfen.

Um GREENBOX VR voranzutreiben, muss auch das Landschaftsarchitekturbüro zusätzliche Mitarbeiter einstellen – und zwar solche, „die neue Wege erkunden wollen“, meint Schäfer. Auf analoges Zeichnen wird dabei keinesfalls verzichtet: „Man braucht beides – 3D eröffnet nur neue Möglichkeiten der Kommunikation.“ Dass sich diese auch in Planungsbüros großflächig durchsetzen werden, steht für ihn fest. „Glauben Sie, dass man angesichts von allem, was bereits möglich ist, plötzlich zur Überzeugung gelangt: ‚Ach lass mal, so spannend ist das gar nicht‘?“ Natürlich müssten die Prozesse noch effizienter werden. „Aber daran arbeiten wir und viele andere bereits.“ Schließlich sei eine Übergangsphase bei neuen Entwicklungen völlig normal.

„Verändern vollimmersive VR-Erfahrungen eigentlich das Träumen?“, frage ich Brennecke, als wir nach dem Treffen gemeinsam zum Bahnhof gehen. „Interessante Frage“, lacht er. Jedenfalls veränderten sie die Vorstellung vom Machbaren: „Im Film ‚The Matrix‘ stehen die Protagonisten plötzlich in einem leeren, weißen Raum und sagen: ‚Wir brauchen Waffen‘. Und zack – da sind sie! So ist die neue VR-Technik: wie ein weißes Blatt Papier, transformiert in eine neue Dimension.“